In Norwegen halten zwei Unternehmen derzeit die europäische Vorreiterrolle bei einer Technologie, die die Weidehaltung grundlegend verändern könnte:virtuelle Zäune. Die Firmen Nofence und Monil setzen auf GPS-gestützte Systeme, mit denen sich Tiere auf abgegrenzten Flächen bewegen – ganz ohne physischen Zaun. Der große Vorteil: mehr Flexibilität, geringerer Arbeitsaufwand und neue Möglichkeiten der Flächennutzung.
Herausforderer mit frischer Energie
Ein konkretes Beispiel für diese neue Form der Weideführung ist der Dyster-Hof im südlich von Oslo gelegenen Ås. DieFamilie Bjørnebybewirtschaftet dort einen 210-Hektar-Betrieb, davon 40 Hektar Weideland. Sie halten rund 55 Rinder einer eigenen Kreuzung auf Wagyu-Basis – kombiniert mit Limousin, Hereford und weiteren Fleischrassen. Ziel ist höchste Fleischqualität mit feiner Marmorierung und optimaler Zartheit. Unter dem Markennamen Wagyu-Dyster wird das Fleisch im hofeigenen Schlachthaus verarbeitet und direkt ab Hof verkauft. Neben der Rinderhaltung werden auch etwa 200 Mastschweine im Freien gehalten. Der Hof ist ein echter Familienbetrieb – die nächste Generation arbeitet bereits mit.
Landwirt Johan Bjørneby und Sohn Tove sind von dem System überzeugt.
Früher bedeutete das Weidemanagement täglichen Aufwand: „Wir mussten fast jeden Tag neue Zäune stecken. Das war zeitintensiv und körperlich anstrengend“, erinnert sich Landwirt Johan Bjørneby. „Und wenn ein Tier ausbrach, war der Ärger groß.“
Heute übernehmen virtuelle Zäune diese Aufgabe. Seit drei Jahren nutzt der Betrieb das System des 2022 gegründeten norwegischen Unternehmens Monil.
Virtuelle Grenzen mit GPS und App
Die Rinder tragen Halsbänder mit integriertem GPS-Modul und Solarpanel. Die gewünschten Weideflächen werden per App definiert. Nähert sich ein Tier der virtuellen Grenze, wird es zunächst durch ein akustisches Signal gewarnt. Ignoriert es dieses, folgt ein kurzer Stromimpuls.
„Die Tiere sind entspannter und wir können sofort reagieren, wenn etwas nicht stimmt” – Johan Bjørneby
„Die Tiere verstehen das System schnell“, sagt Bjørneby. „Meist reichen ein paar Tage, vor allem wenn junge Tiere gemeinsam mit erfahrenen auf die Fläche kommen.“
Ein Vorteil gegenüber klassischen Elektrozäunen: Die Stromimpulse sind milder, die Verletzungsgefahr durch Draht oder Zaunpfosten entfällt und das System erfordert keine Bodenstation. Damit ist es auch in Regionen mit schlechtem Mobilfunkempfang einsatzfähig – ein klarer Pluspunkt in strukturschwächeren Gebieten. „Die Tiere sind entspannter“, sagt Bjørneby. „Und wir können sofort reagieren, wenn etwas nicht stimmt – das gibt uns ein gutes Gefühl.“
Flexibler Einsatz
Das neue System bringt nicht nur Arbeitsersparnis, sondern auch eine deutlich bessere Flächennutzung. Viele kleine oder unregelmäßig geformte Parzellen, die früher aus praktischen Gründen nicht beweidet wurden, lassen sich nun flexibel einbinden. Änderungen an der Zaunführung erfolgen per Fingertipp. „Wenn auf einer Fläche das Gras knapp wird, erweitern wir die Weidegrenze einfach mit dem Handy“, erklärt Bjørneby. „In wenigen Sekunden ist alles neu definiert – das war früher unvorstellbar.“ Selbst in direkter Nähe zum Dorf werden nun Flächen genutzt, für die eine Einzäunung zuvor zu aufwendig war.
Mittels App werden Grenzen geändert.
Tierwohl, Kontrolle und ein lernendes System
Ein bemerkenswerter Effekt: Die Tiere behalten die virtuellen Grenzen im Gedächtnis. „Wenn wir im Frühjahr dieselbe Fläche wie im Vorjahr aktivieren, reagieren viele Tiere richtig – sie wissen, wo die Grenze liegt, noch bevor der Ton ertönt“, so der Landwirt.
Zusätzlich lassen sich Bewegungsmuster, Aufenthaltsorte und Ausreißversuche in Echtzeit über die App beobachten. Das erlaubt nicht nur gezielte Kontrollen, sondern liefert auch Hinweise auf Gesundheit und Verhalten der Herde.
Kosten und Zukunftsperspektiven
Aktuell belaufen sich die Startkosten pro Tier auf rund 250 Euro, die jährliche Nutzungsgebühr liegt bei etwa 50 Euro pro Halsband. Die Investitionskosten sind hoch, doch für den Dyster-Hof rechnet sich der Einsatz bereits heute: „Allein durch die eingesparte Arbeitszeit und den entfallenden Materialaufwand lohnt sich das System. Außerdem wird es laufend weiterentwickelt“, ist Bjørneby überzeugt.
“Früher haben wir die Zeit mit Zäunen verbracht. Heute verbringen wir sie mit den Tieren.” – Johan Bjørneby
Weidezäune: GPS statt Draht
Monil testet derzeit auch günstigere Varianten für Schafe und Ziegen, um die Technik breiter nutzbar zu machen. Auch Verbesserungen für eine längere Akkulaufzeit und optimierte Sensorik sind angekündigt. Zudem laufen Pilotflächen in Norwegen, Deutschland, Dänemark, Schottland und den USA. Der Vertrieb ist derzeit auf Norwegen und Großbritannien konzentriert, eine Expansion in weitere Länder ist geplant.
Norwegen als Pionier
In Norwegen zeigt sich, wie moderne Technologien wie virtuelle Zäune die Weidehaltung effizienter, flexibler und tiergerechter gestalten können.
Am Beispiel des Dyster-Hofs wird deutlich, dass sich die Technik nicht nur im Alltag bewährt, sondern auch neue Wege in der Flächennutzung eröffnet. Oder, wie Johan Bjørneby es formuliert: „Früher haben wir unsere Zeit mit Zäunen verbracht. Heute verbringen wir sie mit den Tieren und das ist ein echter Fortschritt.“
In Österreich ist der Einsatz virtueller Zäune derzeit nicht zulässig. Zwar sind herkömmliche Elektrozäune erlaubt – hier entscheidet das Tier, ob es sich der physischen Barriere nähert, der Impuls geht vom Zaun aus und wird nur bei direktem Kontakt ausgelöst. Virtuelle Systeme wie das von Monil hingegen arbeiten mit GPS-Halsbändern, die bei Bedarf einen Reizimpuls direkt am Tierkörper auslösen. Laut aktueller Auslegung des Tierschutzgesetzes gelten solche elektrischen Anreizgeräte als unzulässig, da sie unter das Verbot direkter Beeinflussung durch Stromimpulse fallen. Gleichzeitig wächst aber das Interesse an innovativen Lösungen – vor allem dort, wo herkömmliche Zäune an praktische oder landschaftliche Grenzen stoßen.
Die Erfahrungen aus Norwegen liefern wertvolle Impulse. Bestehende Vorschriften könnten – im Dialog mit Wissenschaft, Praxis und Tierschutz – vor dem Hintergrund technischer Möglichkeiten und praktischer Erfahrungen neu bewertet werden. Norwegen zeigt, was möglich ist, wenn der Gesetzgeber entsprechende Rahmenbedingungen schafft. Die Technologie ist jedenfalls reif dafür.
Dr. Karin Huber
ist Agrarjournalistin und für den Pressedienst AIZ tätig.