EVP-Agrarsprecher Herbert Dorfmann kritisiert die Vorschläge der EU-Kommission für den
Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) ab 2028 scharf. Für anreizorientierte Politik braucht es laut dem Südtiroler mehr Geld.
Herr Dorfmann, was sind Ihre ersten Eindrücke, was die MFR- und GAP-Reformvorschläge der EU-Kommission angeht?
DORFMANN: Ich bin vor allem vom Vorschlag für den MFR zum EU-Agrarhaushalt sehr enttäuscht. Der entspricht nicht dem, was wir als Europaparlament gefordert haben und was eine vernünftige Landwirtschaft zur Finanzierung benötigt. Der Vorschlag zur GAP enthält brauchbare Inhalte. Bauchschmerzen machen mir aber die Pläne für eine zunehmende Renationalisierung der Gemeinsamen Agrarpolitik. Die haben bereits mit der aktuellen Reform begonnen. Sie werden jetzt leider konsequent weitergeführt.
“Die Pläne zur Renationalsierung machen mir Bauchschmerzen.” – Herbert Dorfmann
Sehen Sie hinreichende Chancen für die von Agrarkommissar Hansen in Aussicht gestellte anreizorientierte Agrarpolitik?
Das hängt sehr von der Finanzierung ab. Wenn man Anreize schaffen will, dann muss man dafür auch Geld zur Verfügung stellen. Und wenn ich mir den Haushalt so anschaue, frage ich mich, wo dieses Geld herkommen soll. Grundsätzlich finde ich es aber richtig, dass man Politik über Anreize macht. Aber die Anreize müssen sich für die Betroffenen auch lohnen. Und das wage ich bei diesen Vorschlägen doch sehr zu bezweifeln.
Wie stehen Sie zu den Kappungsplänen bei Direktzahlungen?
Sollte am Ende wirklich weniger Geld zur Verfügung stehen, wird man drastische Entscheidungen treffen müssen. Und die werden vor allem, wenn wir den Rest der GAP-Reform retten wollen, die bisherige Erste Säule, also in erster Linie die Direktzahlungen betreffen müssen. Wahrscheinlich braucht es noch radikalere Schritte.
Langer Weg zur neuen GAPBis der neue Mehrjährige Finanzrahmen und die GAP ab 2028 beschlossen wird, stehen noch zahlreiche Verhandlungen an. Zunächst berät das EU-Parlament über die Kommissionsentwürfe und bringt Änderungsanträge ein. Schon jetzt ist hier aus Parlamentskreisen von Nachforderungen bei Agrarausgaben die Rede. Anschließend müssen sich die EU-Mitgliedstaaten im Rat einstimmig für den Entwurf aussprechen. In informellen Trilog-Verhandlungen suchen dann Kommission, Rat und Parlament nach einem Kompromiss. Erfahrungsgemäß ein langwieriger Prozess. Bis die endgültigen Fassungen vorliegen, wird es wohl noch eineinhalb bis zwei Jahre dauern.
Welche Zukunft sehen Sie in diesem Zusammenhang für Agrarumweltmaßnahmen?
Ich habe bereits vor zehn Jahren die Meinung vertreten, dass man Agrarumweltmaßnahmen und Eco-Schemes – damals noch das Greening – unbedingt zusammenlegen muss. Das soll nun passieren und wäre in der Tat ein vernünftiger Schritt. Es braucht ein einheitliches, vernünftig und gut ausgestattetes Agrarumweltprogramm. Das dann auch wirklich zum Ziel einer nachhaltigen Landwirtschaft beiträgt.
Sie teilen die Sorgen vor einer weiteren Renationalisierung. Müsste die GAP in NAP umbenannt werden?
Die Sorge vor einer Renationalisierung ist berechtigt, das sieht man ja bereits in der heutigen Gemeinsamen Agrarpolitik. Die Rolle der Europäischen Union wird immer schwächer, vor allem nimmt aber die Rolle der Regionen ab. Und beides lehne ich entschieden ab.
“Kommissar Hansen hat sehr dafür gekämpft zumindest eine eigene Verordnung für die GAP zu bekommen.” – Herbert Dorfmann
„Ein Eintopf den am Ende niemand versteht“
Sehen Sie die Rolle des Europäischen Parlaments bei der EU-Agrarpolitik geschwächt?
Natürlich. Wenn der europäische Einfluss abnimmt, dann wird auch die Rolle des Parlaments schwächer. Aber das gilt nicht nur für die Agrarpolitik, das gilt für den gesamten MFR.
Hat Christophe Hansen und mit ihm die Position des EU-Agrarkommissars mit den GAP-Vorschlägen Federn lassen müssen?
Ich habe den Eindruck, dass dieses gesamte Verfahren sehr von der Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, gesteuert worden ist.
Viele ihrer Kommissare waren nur teilweise eingebunden. So wie übrigens auch wir als Parlament nicht in das Verfahren eingebunden worden waren. Agrarkommissar Hansen hat sehr dafür gekämpft, zumindest eine eigene Verordnung für die GAP zu bekommen. Und das ist immerhin gelungen. Aber ich muss persönlich schon auch sagen, ich hätte eigentlich nicht gedacht, dass ich in meiner Zeit als Abgeordneter im Europäischen Parlament mich noch einmal freuen muss, dass die Gemeinsame Agrarpolitik immerhin eine eigene Wohnung bekommt und nicht in einem Eintopf untergeht, den am Ende niemand mehr versteht.
Zur Person: Herbert Dorfmann (Jahrgang 1969) sitzt seit 2009 für die Südtiroler Volkspartei im EU-Parlament und ist seitdem durchgehend als Vollmitglied im Landwirtschaftsausschuss aktiv. Seit 2019 ist der studierte Agrarwissenschaftler zudem EVP-Agrarsprecher. Vor seiner Brüsseler Karriere war er unter anderem Direktor des Südtiroler Bauernbundes sowie Fachlehrer.
Das Interview führte der Pressedienst Agra-Europe.